Bad Oeynhausen/Lübbecke/Enger (ACL). Christian Blohm hat eine Reihe von schwarzen Spielsteinen vor sich aufgebaut. Er überlegt einen Moment, ehe er einen von ihnen in die Mitte des Tisches legt. Dort bilden schon andere schwarze Steine mit bunten Formen eine Reihe. "Das passt", sagt Claudia Huster. Nun ist sie am Zug.
Christian Blohm und Claudia Huster leben im Wittekindshofer Wohnhaus an der Fontanestraße in Lübbecke und spielen regelmäßig "Mensch ärger Dich nicht", Kniffel und Co. Nun ist "Qwirkle" an der Reihe – so der Name des Kombinations- und Legespieles mit den schwarzen Spielsteinen. "Es ist ähnlich wie Domino. Man muss immer die passenden Farben oder Muster aneinanderlegen", erklärt Christian Blohm und deutet auf die Spielanleitung. Diese ist aber nicht die Original-Anleitung sondern eine Übersetzung in Leichte Sprache vom Wittekindshofer Büro für Leichte Sprache.
Blick in Anleitung schreckt ab
"Gesellschaftsspiele sind in Zeiten der Corona-Krise eine willkommene Abwechslung für viele Menschen gewesen", sagt Kerstin Göhner vom Büro für Leichte Sprache, die in den vergangenen Monaten die Übersetzung von Spielanleitungen koordiniert hat. Gesellschaftsspielen fehle häufig die Inklusivität, findet Göhner: "Viele Spiele können Erwachsene mit Behinderung nicht nutzen oder nur mit enger Begleitung, weil die Anleitung zu komplex geschrieben ist", weiß sie. "Wir haben in unserer praktischen Arbeit immer wieder festgestellt, dass viele Menschen sich vor neuen Spielen scheuen. Der Blick in die Anleitung schreckt ab."
Das wollen Göhner und ihre Kolleginnen und Kollegen ändern. Deshalb hat sich das Büro für Leichte Sprache in Kooperation mit dem Kontakt- und Informationszentrum (KIZ) Enger bei der Aktion "Spielen mit Handicap" des Vereins "Spiel des Jahres" beworben. "Wir haben in den vergangenen Monaten zwölf Spielanleitungen in Leichte Sprache übersetzt", sagt Göhner.
Die wichtigste Grundlage sei dabei, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten – sogenannte Experten in eigener Sache – die Texte auf Verständlichkeit prüfen. "Die Spielregeln sind erst fertig, wenn mindestens drei Prüfer die Anleitung als gut verständlich einstufen. Das heißt in diesem Falle aber nicht nur, dass die Prüfer das Gelesene verstehen, sondern auch anwenden können." Deshalb wurde jedes Spiel mehreren Praxistests unterzogen.
"Ursprünglich hatten wir dafür einen Spielenachmittag im KIZ Enger geplant, aber die Corona-Pandemie hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht", sagt Göhner. Die Wittekindshofer Kontakt- und Informationszentren blieben zum Schutz vor Infektionen in den vergangenen Monaten geschlossen. Stattdessen haben Kinder und Erwachsene, die in Wittekindshofer Wohnhäusern in den Kreisen Minden-Lübbecke und Herford leben, die Spielanleitungen in ihrem Zuhause getestet.
Größere Schriften, kurze Sätze und Bebilderung
So auch Christian Blohm und Claudia Huster. "Ich finde es gut, wenn es eine große Schrift in Spielanleitungen gibt, das macht das Lesen einfacher", sagt Huster. Auch die Schriftart spiele eine Rolle, zu viele Schnörkel könnten beispielsweise die Lesbarkeit erschweren. "Wenn Bilder in den Anleitungen sind, können auch Menschen die Spiele spielen, die nicht lesen können. Dann hilft so eine Anleitung allen", bekräftigt Blohm.
"Und das ist ein entscheidender Punkt", setzt Göhner hinzu. "Es geht eben nicht nur darum, Menschen mit Behinderung den Zugang zu Spielen zu erleichtern. Die Anleitung kann genutzt werden, von Menschen, die vielleicht eine Sehschwäche haben oder nicht so gut lesen können – oder von jenen, die eine lange Anleitung davon abschreckt, ein neues Spiel auszuprobieren. Bei der Auswahl haben wir deshalb verschiedene Interessen und Fähigkeiten berücksichtigt."
Entstanden ist ein Heft "Spiel-Regeln in Leichter Sprache", welches im KIZ Enger ausliegen soll, zusätzlich sind die Anleitungen online zu finden. Göhner: "Wir würden uns freuen uns, wenn auch die Spielverlage selbst die Anleitungen zum Download auf ihren Seiten anbieten. So bekämen noch mehr Menschen die Chance, neue Spiele zu entdecken. Das baut Barrieren in der Freizeitgestaltung ab."
"Spielen mit Handicap"
"Spielen mit Handicap" ist eine Initiative des Vereins Spiel des Jahres. Er unterstützt nach eigenen Angaben seit 2012 Gruppen und Einrichtungen finanziell bei der Umsetzung ihrer spielerischen Projekte. 34 Vorhaben, die Menschen mit Behinderung den Zugang zu Spielen erleichtern, wurden 2020 mit einer Summe von 35.000 Euro gefördert. Davon entfielen 5400 Euro auf das Wittekindshofer Unterfangen, das der Verein auf seiner Internetseite als Leuchtturm-Projekt besonders hervorhebt: „Dieses Projekt hat den Förderschwerpunkt genau getroffen – ein weiterer Schritt in Richtung Eigenständigkeit und freier gesellschaftlicher Teilnahme.“
Seit 2015 bietet das Wittekindshofer Büro für Leichte Sprache Übersetzungen von Internetseiten, Flyern, Broschüren und Ähnlichem in Leichte Sprache an. Ziel ist es, sprachliche Barrieren abzubauen und Menschen mit Leseeinschränkung, Lernschwierigkeit oder geistiger Behinderung mehr Teilhabe zu ermöglichen. Etwa durch kurze Sätze, einfache Worte und größere Schriften.